Zwischenkriegszeit

Aufgrund der Nachkriegswirren und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Problemen muß die Passionsaufführung von 1920 entfallen und kann erst 1922 nachgeholt werden. Trotz einer allgemeinen Aufbruchsstimmung und des Gefühls eines Neuanfangs in Deutschland und auch in Oberammergau, gelingt es wieder nicht sich zu einer textlichen Neufassung der Passionsspiele durch zu ringen. Möglicherweise liegt es daran, daß der neugewählte, gerade erst 33-jährige, Spielleiter Georg Johann Lang mehr an ästhetischen als an inhaltlichen Fragen interessiert ist. Der Andrang zu den Spielen ist unerwartet hoch und die Einnahmen dementsprechend. Doch macht die Inflation den Großteil des Gewinnes zunichte. Trotzdem beschloß man, keines der sieben Verfilmungsangebote, die seit Anfang des Jahres 1920 bei der Gemeinde eingelangt sind, anzunehmen, und daß, obwohl die Angebote bis zu umgerechnet 14 Milliarden Mark betragen.[1]
1930 unternimmt Johann Georg Lang eine umfassende Neuinszenierung. Im Zuge dessen entwirft er eine völlig neue Bühne und läßt von dem Architekten und späteren Bürgermeister Raimund Lang die erste fest gebaute Bühne errichten. Rückblickend meint Otto Huber: „Die Bühne hatte etwas Modernes und gleichzeitig etwas ‘Nazimäßiges’. Ich glaube diese Vereinfachung mit der großen horizontalen Linie ist sehr gut gemacht, aber die Geste dieser Architektur ist doch: Du bist klein und ich bin groß. Das ist das Gegenteil von jeder Art christlichen Botschaft. Es scheint als wären die religiösen theologischen Fragen vor lauter Kunstfragen zweitrangig geworden.”[2]
Daß Oberammergau mit dieser Inszenierung wieder auf der Höhe der Zeit ist, läßt sich daran erkennen, daß sogar Regisseure wie Max Reinhardt oder Charles Dullin ihre Bewunderung aussprechen.[3]
„In einer Vorstellung des August saß im Passionstheater ein Mann mit bleichem Gesicht, braunrötlichem Haar und einem kleinen Schnurrbart auf der Furche der Oberlippe. Er trug einen Trenchcoat und war von einigen Männern begleitet. Nach dem Spiel brachte ihn seine Freundin Helene Bechstein ins Verlagshaus Lang, wo er vorgestellt wurde und man ihn zum Tee einlud. {...} Der Mann hieß Adolf Hitler.
Vier Jahre später im Jahr 1934 war dieser Mann bereits an der Macht. In diesem Jahr jährte sich das Oberammergauer Passionsgelübde zum 300. Mal, weshalb man ein Jubiläumsspiel initiierte. Ob und wie weit sich Oberammergau gegen die Vereinnahmung durch die neue Politik Deutschlands wehrte, läßt sich heute nur noch schwer nachweisen, sicher ist nur, daß die Mächtigen Oberammergau instrumentalisiert haben. Das Werbeplakat für 1934 zeigt das bergumschlossene Passionsdorf, aus dem ein lichtumflossenes Kreuz aufragt. Die für das Ausland vorgesehenen Plakate müssen nach dem Willen des Reichspropaganda-Ministeriums die Aufschrift ‘Germany calling’ - ‘Deutschland ruft’ tragen.
Adolf Hitler nennt Oberammergau, neben Bayreuth, die Exponenten des deutschen Kulturlebens."[4] In der Presse wird die ideologische Vereinnahmung fortgeführt: „Die drei Jahrhunderte des Passionsspiels lehren uns, daß die Treue zu Blut und Boden die Haltekraft allen Volkstums ... ist.”[5]
Die Kirche stellt sich gegen diese Form der Vereinnahmung der Passionsspiele durch die politischen Machthaber und erteilt Oberammergau die Missio canonica, die offizielle Lehrbefugnis der Kirche.
Aber auch innerhalb des Passionsspiels wird der ‚neue Geist’ sichtbar: So wird der Adam in einem lebenden Bild mit einem deutschen Spaten bestückt. Einfache Striche ergeben plötzlich klare antisemitische Aussagen, so wird zum Beispiel der Chortext zum lebenden Bild ‚Josef und seine Brüder‘ um die letzte Strophe gekürzt, in der Gottes Zorn auf die Brüder Josef und sein Volk im allgemeinen sich wieder aufhebt: „Er (Jesu) kommt nicht zu verderben, von des Vaters Herrlichkeit, alle Sünder sollen erben, Gnade, Huld und Seligkeit.”
Nach 1934 ergeht ein Auftrag einer Neufassung der Passionsspiele an den Dramatiker Leo Weismantel (1888 - 1964)[6], welcher jedoch wieder zurückgezogen wird.
Die in Vorbereitung befindlichen Spiele für 1940 werden vom Propagandaministerium für ‚reichswichtig‘ erklärt, müssen jedoch wegen Kriegsausbruch abgesagt werden.
[1] vgl.: Raschke, Jens: Das ‘Nein’ aus Oberammergau. In: Von Oberammegau nach Hollywood. S.94
[2] Huber, Otto: Interview vom 6. Dezember 1999.
[3] Huber, Otto / Helmut Klinner / Dorothea Lang: Die Passionsaufführungen in Oberammergau in 101 Anmerkungen. In: Hört, sehet, weint und liebt. Passionsspiele im alpenländischen Raum. S. 174.
[4] Günzler, Otto; Alfred Zwink: Oberammergau. Berühmtes Dorf - Berühmte Gäste. S.173
[5] Langheinrich, Franz: Was bedeutet Oberammergau? In: Das Bayernland 45 1934, S. 256
[6] vgl.: Kap.11