Passion zur Zeit der Säkularisierung und Aufklärung

Bereits 1811 wird das Oberammergauer Passionsspiel wieder genehmigt. Ausschlaggebend dafür dürfte die Neufassung des Textes durch den Ettaler Benediktiner und Doktor der Philosophie Othmar Weis gewesen sein. Weis, am 21. 4. 1770 geboren und aufgewachsen im Ammertal, in Bayersoin, studierte in Ettal, München und Ingolstadt, wo er nach seiner Promovierung zum Doktor der Philosophie im Jahr 1796 am Gymnasium als Lehrer der Rhetorik und Leiter des Theaters wirkte. 1799 kehrte er ins Kloster Ettal zurück, wo er auch nach dessen Auflösung im Zuge der Säkularisierung im Jahre 1803 als einziger verblieb. 1812 wurde er als Pfarrer nach Jesenwang berufen. Bis dahin unterrichtete er die Dorfkinder in Oberau, ab 1807 in Ettal. Unter seinen Schülern war auch Alois Daisenberger, der später die Bearbeitung des Passionsspieltextes fortsetzen sollte.
Weis bearbeitete den Text der Passionsspiele im Sinne der Aufklärung. „P. Ottmar übernahm die neue, der neuen Zeit angemeßnere Bearbeitung des Textes. Er faßte den Gedanken und hielt ihn fest, mit Weglassung aller poetischen Zuthaten der letztvergangenen Jahrhunderte, die Darstellung der Leidensgeschichte selbst lediglich auf die heiligen Evangelien zu gründen...”[1]
Bedacht auf Realismus formt er das Spiel zu einem Historiendrama um. Er entfernt alle Teufelsszenen, alle Allegorien, alles Mythologische und Legendenhafte und faßt den gesamten Text in neuhochdeutscher Prosa, wobei er an vielen Stellen Bibeltexte wörtlich übernimmt. Der Realismus zeigt sich im breiten Ausmalen der ‚historischen Wirklichkeit‘. Hürdenreich wird das vordringen zur Obrigkeit, die Voranmeldungen, die Vorgespräche mit der Dienerschaft, die politische Diskussion mit Pilatus und Herodes beschrieben. Namen werden historisiert. Am Einschneidensten zeigt sich diese Tendenz zum Realismus im Fehlen des Auftrittes des Auferstandenen. Weis beschränkt sich auf das Nachvollziehbare und Sichtbare.[2]
Doch die Rhetorik des Textes ist schwach, „es beginnt die Zeit der Ach´s und Oh´s”[3], an denen der Text bis ins 20. Jahrhundert krankt.
Formal orientiert sich Weis an der ‚Passio Nova‘, auch er wechselt zwischen neutestamentlichen Spielszenen und alttestamentlichen Präfigurationen, verfaßt dazu neue Gesangstexte und Prologe, die, an Predigten erinnernd, erklärend den Bezug zur Gegenwart herstellen.
Zu den neuen Gesangstexten komponierte der Oberammergauer Lehrer Rochus Dedler[4] die Musik, welche bis heute die Passionsspiele begleitet.
Das Streben nach Realismus ist kein Ausdruck eines Glaubensverlust, sondern im Gegenteil manifestiert sich darin die Bestrebung nach historischer Beweisbarkeit des Neuen Testaments. Dieses Denken, welches in Deutschland durch Lessing ausgelöst wurde, lebt bis heute weiter in allen wissenschaftlichen Diskursen, so auch in der Theologie in Form der Diskussion um eine historisch-kritische Exegese.
1815 überarbeitet Pater Weis den Text nochmals. Besonders die Gesangstexte erfahren eine Umgestaltung, wodurch Dedler gezwungen war beinahe die gesamte Musik neu zu komponieren. Zusätzlich zu diesen Neuerungen wurde die Bühne völlig neugestaltet.[5]. 1820 waren die letzten Spiele am Friedhof vor der Kirche, 1830 übersiedelte man auf eine Wiese am Rand des Dorfes, wo das Theater bis heute steht.
In künstlerischer Hinsicht stagnierte das Spiel bis 1850.
[1] Daisenberger, Joseph Alois: Das Passionsspiel in Oberammergau. In: Deutinger, Dr. Martin v.: Beyträge zur Geschichte, Topographie und Statistik des Erzbistums München und Freysing. S.461.
[2] Vgl.: Weis, Pater Dr. Othmar: Das Große Opfer auf Golgatha oder Geschichte des Leidens und Sterbens Jesu. S.148-250.
[3] Fink, Roman/Horst Schwarzer: Die ewige Passion. Phänomen Oberammergau. S. 40
[4] Vgl. Kap. 6.2
[5] Vgl. Kap. 5.2