Mit den Passionsspielen von 1950 ist eine Ausstellung verbunden mit dem Titel ‚1000 Jahre christliche Kunst im Zeichen der Passion’. Schon in diesem Titel zeigt sich, daß der in Deutschland weit verbreitete restaurative Gedanke, auch in Oberammergau Einzug gehalten hat. Man will keinen Neuanfang, sondern einfach dort wieder anschließen, wo man vor diesem ‚schrecklichen Intermezzo’ aufgehört hat. Bezeichnend dafür ist auch die Wiederwahl des Bürgermeisters Raimund Lang im Jahr 1950.
Noch 1970 bezweifelt Wilm Sanders die Notwendigkeit von Änderungen: „Schon vor 1970 hat sich der Streit um den Passionsspieltext in der Öffentlichkeit entzündet. Die Vorwürfe mehrten sich, dieses Spiel sei diskriminierend für die Juden. Gegen alle historische Logik waren die Spiele 1950 ohne solche Kritik geblieben, auch 1960 waren die Vorwürfe noch überhörbar.”[1] Otto Huber hat in einer unveröffentlichten Schrift nachgewiesen, daß trotz massiver Kritik von Seiten der Presse und der schon nach 1950 einsetzenden Kritik durch jüdische Organisationen an der Qualität und der antisemitischen Tendenz des Textes und der Regie, weder an der Inszenierung noch am Text Änderungen vorgenommen werden.
Nur die Passionsmusik von Rochus Dedler wird vom gebürtigen Oberammergauer Prof. Eugen Papst (1886-1956) bereits für die Passionsspiele von 1950 grundlegend überarbeitet.[2]
1962 hat der Oberammergauer Bürgermeister Raimund Lang ein ‚Beratendes Gremium zur Frage einer Textänderung des Oberammergauer Passionsspiel’einberufen unter der Leitung von Dr. Clemens Graf Podewil (Akademie der Schönen Künste). In einer der Sitzungen bringt Carl Orff den Vorschlag ein, auf die ‘Passio Nova von 1750 des Paters Ferdinand Rosners zurückzugreifen. Er erklärt sich bereit, die Musik dafür zu besorgen. Der Vorschlag findet Zustimmung im Gremium und auch im Gemeinderat. 1966 bestimmt der Gemeinderat Hans Schwaighofer als Spielleiter für 1970 und entscheidet sich für eine öffentliche Probeaufführung auf der Basis des Rosner Textes. Im Jahr darauf entscheidet man sich wieder gegen die Probeaufführung. Schwaighofer tritt als Spielleiter zurück.[3] 1970 wird unter lautstarker Kritik von außen die bisherige Fassung ohne einschneidende Veränderungen wieder zur Aufführung gebracht. Die konservativen Kräfte feiern ihren Erfolg mit auch einem Buch, daß den bezeichnenden Untertitel ‚Völker hörten die Signale‘ trägt. Darin zitiert man z.B. aus einem Brief eines amerikanischen Mannequins: „Der Protest von jüdischer Seite sollte ignoriert werden. Nicht ein Wort der Bibel darf angetastet werden, um die Ignoranten zu besänftigen.”[4] Man verwechselt in plumper Weise den Inhalt der Bibel mit dem Inhalt der Oberammergauer Passionsspiele, und man bezeichnet alle Kritiker als Zerstörer: „Die Menschen guten Willens dies- und jenseits des Ozeans hatten begriffen, daß heute Geistes-Gewissens-Religionsfreiheit aktiv verteidigt werden müssen gegen den Haß und Hohn kirchenfeindlicher und atheistischer Kreise, die anderen ihren Glauben austreiben wollen - und gegen die Wühlarbeit einer Minderheit von innen, die sich progressiv, kritisch, demokratisch nennt und die Selbstzerstörung von Kirchen und Christentum vorbereitet.”[5] Diese Art der Polemik schafft tiefe Gräben innerhalb von Oberammergau. Trotzdem kam auch innerhalb von Oberammergau die Diskussion nicht mehr zum Erliegen und so gelingt es gegen große Widerstände schließlich 1977 eine ‚Rosner-Probe’ zustande zu bringen. Doch der von Presse, Kirche und jüdischen Organisationen durchwegs positiv bewertete Versuch, wird innerhalb Oberammergaus mehrheitlich abgelehnt. Damit sind alle Reformansätze wieder auf unbestimmte Zeit verschoben.
Erst für die Passion 1990 gelingt es den progressiven Kräften im Gemeinderat von Oberammergau den jungen Christian Stückl als neuen Spielleiter durch zu setzen. Obwohl er außerhalb der Diskussion um ‚Rosner‘ steht, ist er ein Garant für die formale und inhaltliche Weiterentwicklung der Passion.
[1] Sanders, Wilm: Antisemitismus bei den Christen? Gedanken zur christlichen Judenfeindschaft am Beispiel der Oberammergauer Passionsspiele. S.39
[2] vgl. Kap. 6.2
[3] vgl.: Das Rosnerspiel. Hrsg. Ammergauer Spiel-Gemeinschaft. S.31f
[4] Report Oberammergau. Völker hörten die Signale. Hrsg. Gemeinde Oberammergau. S.11
[5] Preisinger, Anton: Geistes- und Gewissensfreiheit auch für uns. In: Report Oberammergau. Völker hörten die Signale. Hrsg. Gemeinde Oberammergau. S.11