Das Barock Spiel

1750 erfährt das Oberammergauer Passionsspiel eine vollkommene Neugestaltung und erreicht damit seinen literarischen Höhepunkt. Pater Ferdinand Rosner, „poeta doctus”[1] und Professor der Rhetorik an der Ritterakademie schuf die ‚Passio Nova‘ mit dem Titel ‚Bittere Leyden Obsiegender Tod, und Glorreiche Auferstehung des Eingefleischten Sohn Gottes einer Christlichen Versammlung vorgestellt...‘[2] beinahe zeitgleich mit Klopstocks Epos ‚Der Messias‘[3]. Diesem steht sie würdig und ebenbürtig zur Seite.[4] Diese Passion entsprach sowohl stilistisch als auch formal den künstlerischen Ansprüchen und dem Lebensgefühl des Barock. Die Handlung, welche auf dem Neuen Testament basiert, ist in neun Akte untergliedert, welchen jeweils ein ‚Lebendes Bild‘ vorangeht. Diese Form der Bilder, welche Rosner aus der alten Passion übernahm, entwickelte er weiter zu 18 Präfigurationen. Bei diesen Vorbildern wurden Situationen aus dem Alten Testament entnommen.
Er kreiert mehr als 90 Rollen, welche sich teilweise logisch aus dem Neuen Testament ergeben. Die Figur des Teufels und diesem zur Seite gestellt die allegorischen Figuren des Lasters, des Geizes, des Neides, des Todes, der Verzweiflung und der Sünde, übernimmt er aus dem alten Spiel, läßt diese aber im Gegensatz zu früher nun direkt ins Spiel eingreifen. Möglicherweise durch die Weilheimer Passion inspiriert[5], fügt Rosner seinem Spiel einen Schutzgeist hinzu, den ‚Genius Passionis‘, welcher von sechs weiteren Schutzgeistern begleitet wird. Diese, den teuflischen Mächten entgegenstehende Gruppe, bildet den Ursprung des heutigen großen Chores.[6]
Sowohl die Dialoge als auch die gesungen Texte hat Rosner in gebundener Sprache verfaßt. Diese Arien und Rezitative, deren Musik verloren gegangen ist, entsprach dem italienischen Operngeschmack der Zeit.[7] Alles in allem umfaßt der Text 8455 Verse.
Oberammergau, bisher nur ein Passionsspiel unter vielen, wurde nun zum Vorbild für andere Passionsspielorte, wie Pfarrkirchen, Tölz, Freising, Dachau, Kiefersfelden, Oberaudorf, Thiersee und Erl[8].
Alleine in Oberammergau sahen bei den zwei Vorstellungen im Jahre 1750 ca. 11 000 Zuschauer die ‚Passio Nova‘.[9]
Nur zwei Spielperioden wurde ‚Rosner Passion‘ gezeigt, dann ereilte auch Oberammergau das Schicksal vieler anderer Passionsspielorte. Der Geist der ‚Aufklärung‘ führte zu einem Generalverbot des ‚Kurfürstlichen Geistlichen Rates‘ aller Passionsspiele. Trotz mehrerer Gesuche gelang es den Oberammergauern 1770 nicht eine Sondererlaubnis zu erlangen. Dem stand wohl unter anderem ein vernichtendes Gutachten des Tegernseer Benediktiner und bayerischen Schulkommisar H. Braun entgegen.[10]
In Oberammergau selbst hält sich hartnäckig das Gerücht, daß man trotz Verbot gespielt hätte,[11] dem widerspricht allerdings die Gemeinderechnung, welche ein so hohes Defizit aufweist, von dem man nur auf Ausgaben ohne Einnahmen schließen kann.[12]
Am 10. Februar 1780 erhält nur Oberammergau ein Privileg[13] die Passion aufzuführen, damit wird die Sonderstellung der Oberammergauer Passion endgültig fest geschrieben. Warum sie dieses erhielten, ist nicht klar ersichtlich, denn die damals von den Oberammergauern der Regierung vorgelegte Version war nur eine äußerst rudimentäre Bearbeitung des Textes von Pater Ferdinand Rosner. Der Ettaler Pater Magnus Knipfelberger kürzte die ‚Passio Nova‘ auf 4809 Verse, wobei 80 % davon noch aus dem Text von 1750 stammte, er brachte aber auch aus einem neuen Geist der Empfindsamkeit und des Subjektivismus Neues ein. Ob bereits Rosner oder erst Knipfelberger den Inhalt von 13 Lebenden Bildern veränderte und insgesamt auf 23 Präfigurationen aufstockte, läßt sich nicht mehr recherchieren.[14] Möglicherweise war der neue Titel, welcher die Passionsthematik ausklammerte, entscheidend. Er lautete einfach: ‚Das Alte und Neue Testament‘. Unter diesem Titel führte man die Passionsspiele bis 1790 auf.
Erst 1800 änderte man den Titel wieder zu ‚Geschichte des Leidens und Sterbens Jesu Christi aus dem Alten und Neuen Testament zur Betrachtung vorgestellt‘, der Text blieb mit kleinen Veränderungen der gleiche.
Am 11. September 1801 erreichte das Ettalische Gericht ein Schreiben des Minister Montgelas‘ worin das Oberammergauer Privileg für erloschen erklärt wird. Trotz einiger Bemühungen gelingt es den Oberammergauern nicht diesen Erlaß aufzuheben, weshalb 1810 nicht gespielt werden kann.[15]
[1] Zur Ausbildung von P. Ferdinand Rosner vgl.: Schaller, Stephan: Ferdinand Rosner. Bendiktiner von Ettal.
[2] Rosner, Ferdinand: Passion Nova. Das Oberammergauer Passionsspiel von 1750.
[3] Kloppstock, Friedrich: Der Messias.
[4] Vgl.: Fink, Roman/Horst Schwarzer: Die ewige Passion. Phänomen Oberammergau. S. 41
Müller, Günther: Geschichte der deutschen Seele. S.217f.
[5] Fink, Roman/Horst Schwarzer: Die ewige Passion. Phänomen Oberammergau. S. 37
[6] Vgl.: Ziegler, Josef Georg: Das Oberammergauer Passionsspiel: Erbe und Auftrag.
[7] Vgl.: Kaltenegger Roland: Oberammergau und die Passionsspiele 1634-1984. S.147
[8] Vgl.: P. Stephan Schaller: Die neue Passion. In: Rosner, Ferdinand: Passion Nova. S.383
[9] Vgl.: Schaller, Stephan: Ferdinand Rosner Benediktiner vom Ettal S.33f., 138-164.
[10] Vgl.: Ziegler, Josef G.: Das Oberammergauer Passionsspiel: Erbe und Auftrag. S.20
[11] Vgl.: Kaltenegger Roland: Oberammergau und die Passionsspiele S.150
[12] GAO, Gemeinde Rechnung 1770-71
[13] GAO, ‚Spezialbewilligung 1780‘
s.a. Deutinger, Martin von: Das Passionsspiel in Oberammergau. Berichte und Urtheile über dasselbe, gesammelt von dem Herausgeber. S.434f
[14] Vgl.: Schaller, Stephan: Magnus Knipfelberger. Benediktiner von St. S. 184-199
[15] Vgl.: Clarus, Ludwig: Das Passionsspiel zu Ober-Ammergau. S.57f